»Wir regen dazu an, dass alle Interessengruppen sich als gegenseitig unterstützende Gemeinschaft sehen.«

 

Sie beschäftigen sich schon länger mit dem Thema Diamond OA. Wie sind Sie dazu gekommen?

Zum Thema Diamond OA bin ich über Umwege gekommen: Das faire und freie Publizieren wissenschaftlicher Literatur beschäftigt mich schon seit über 10 Jahren, aber in den letzten Jahren war ich zunehmend irritiert. Zwar ist immer mehr Literatur verfügbar, aber das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Verlagen ist immer noch unfair. 

Wieso wird mit wissenschaftlichen Ergebnissen und Daten so viel Geld verdient? Ist das wirklich mit wissenschaftlichen Werten vereinbar? Da setzen meine letzten Projekte an und versuchen, der Wissenschaft wieder mehr Kontrolle über ihre eigenen Publikationen zurückzugeben. 


Das Projekt ELADOAH, das Sie leiten, untersucht, wie man die bibliothekarische Erwerbungslogik und DOA unter einen Hut bringen kann. Was ist Ihrer Meinung nach der größte Hinderungsgrund?

Da gibt es leider nicht nur einen Grund. Aber uns fällt auf: Trotz redlicher Bemühungen aller Interessengruppen gibt es oft Kommunikationsschwierigkeiten. Zeitschriften oder Publikationsinitiativen können ihre Wünsche oft nicht so formulieren, dass sie reibungslos in die bibliothekarische Praxis und Unterstützung übersetzt werden können. Ein Beispiel ist die Finanzierungsfrage. 

Auf der Publikationsseite gibt es klare Bedarfe, etwa zu infrastrukturellen Dienstleistungen oder institutioneller Zuwendung; auf der Bibliotheksseite können diese nur bedingt abgerechnet oder verbucht werden. Daneben gibt es noch rechtliche Hürden, speziell aus Sicht öffentlicher Einrichtungen. Insgesamt möchten wir dazu anregen, das Verhältnis der Interessengruppen untereinander einmal anders zu denken – eben nicht als “Käufer” und “Verkäufer”, sondern als Gemeinschaft, die sich gegenseitig unterstützt, weil (und soweit) sie die gleichen Ziele verfolgt


Das Projekt läuft zwar noch, aber gibt es schon erste Erkenntnisse, die Sie mit uns teilen können?

Wir werden im September unseren Bericht zu gemeinschaftlichen Publikationsmodellen vorstellen, darin finden sich unsere Zwischenergebnisse im Detail. Aber drei Punkte kann ich schon andeuten: Kooperation und Gemeinwohlorientierung werden in der Community des wissenschaftlichen Publizierens als hohes Gut eingestuft. Das zeigen nicht nur unsere Interviews, sondern auch eine Auswertung einschlägiger Literatur. 

Darüber hinaus muss Publizieren im Sinne der Wissenschaft immer als ganzheitliches Modell verstanden werden. Hier geht es insbesondere um eine belastbare Governance, eine strukturierte Community-Arbeit und -Pflege und eine mehr als subsidiäre finanzielle Förderung. Nicht zuletzt zeigen erste Ergebnisse aus dem Rechtsgutachten zur Erwerbungslogik, dass Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sich als rechtliche Maßstäbe nicht notwendig mit betriebswirtschaftlichen decken. Im Kontext der Literaturbeschaffung durch Universitätsbibliotheken etwa sind sie eingebettet in die Wissenschaftsfreiheit und den Auftrag zur Informationsversorgung.


Es gibt auch kommerzielle Verlage, die an Diamond OA Modellen interessiert oder sogar schon beteiligt sind. Wie nehmen Sie deren Perspektive wahr und werden sie bei ELADOAH involviert?

Ja, das nehmen wir wahr, die Verlagsperspektive ist immens wichtig. Jeder Verlag, ob groß oder klein, sollte seinen Beitrag zur diamantenen Transformation leisten. Bei ELADOAH interessieren wir uns aber für Diamond OA nicht nur als “business case”, sondern als faires und wertegeleitetes Publizieren. Hierzu gehören, wie angedeutet, der kooperative Anspruch und die Gemeinwohlorientierung, was nur bedingt mit dem Geschäftsinteresse kommerzieller Großverlage zu vereinbaren ist. 

Oder anders gesagt: Wir glauben, das wissenschaftsgeleitete Publizieren kann einiges von kommerziellen Verlagen lernen, etwa mit Blick auf Projektmanagement und Prozessoptimierung. Zugleich möchte ich betonen: Diamond OA aus Sicht der Wissenschaft und ihrer Infrastrukturen ist nicht nur ein Geschäftsmodell, sondern eine Rückbesinnung auf das publizistische Selbstbestimmungsrecht der Wissenschaft.


Gefühlt spielt Diamond OA für die Geistes- und Sozialwissenschaften eine größere Rolle als für den MINT-Bereich. Täuscht das?

Das mag sein, dazu kenne ich leider keine Zahlen oder Studien. Von 13.504 “fee-free” Journals im DOAJ sind 4.591 den MINT-Bereichen zuzuordnen. Das würde das Gefühl unterstützen. Um mal zu spekulieren: Ein politischer Grund könnte sein, dass in den Geistes- und Sozialwissenschaften Open Access stärker mit dem Prinzip von globaler Fairness verbunden wird. Zumindest stammen die meisten Forschungsbeiträge zu den politischen Dimensionen von Open Access aus den Geistes- und Sozialwissenschaften. 

Darüber hinaus – ein informationswissenschaftlicher Grund – mag es an einem stärkeren Fokus der MINT-Fächer auf quantitative Metriken liegen. Die Diskussion solcher Metriken, ihr tatsächlicher Nutzen und die Zuschreibung von Qualität wird aktuell stark diskutiert, etwa in der CoARA. Ob oder inwiefern Diamond OA in den Geistes- oder Sozialwissenschaften mit Blick auf quantitative Metriken Nachholbedarf hat, ist für mich aber keine Frage der Qualität, sondern ein selbst-gemachtes “Reputationsproblem”.


Weitere Informationen:

Marcel Wrzesinski
Projektleiter ELADOAH
eMail: marcel.wrzesinski@hiig.de